1891 wird in Augsburgs Innenstadt das erste von Frauen geleitete Fotoatelier eröffnet – eine Filiale des berühmten Münchner Atelier Elvira. Die 26-jährige Sophia Goudstikker und ihre acht Jahre ältere Lebenspartnerin Anita Augspurg sind dort seit 1887 als höchst erfolgreiche Unternehmerinnen stadtbekannt: Beide bringen aktiv die moderne Frauenbewegung voran.

Von Anfang an stehen im Atelier Elvira in München nicht nur Künstlerinnen und Künstler vor der Kamera, sondern auch die bayerische Königsfamilie und die bisher unbekannte Namensgeberin des Ateliers, welche die Kuratierenden durch eine neu entdeckte Textquelle als die bayerische Prinzessin Elvira (1868–1943) identifizierten. Der Titel „Hofatelier“ lässt nicht lange auf sich warten. Massenhaft werden die Abzüge der prominenten Fotomodelle verkauft, im 19. und frühen 20. Jahrhundert die einträglichste Geldquelle von Fotoateliers.

Die Augsburger Filiale ist die Existenzgründung für Sophias jüngste Schwester, die 17-jährige Mathilde Goudstikker. Sie übernimmt bereits kurz nach der Eröffnung die Geschäftsführung des Atelier Elvira in der heutigen Ludwigstraße 22. Die junge Fotografin trifft auf viele Persönlichkeiten wie beispielsweise Karl Ludwig Fugger-Babenhausen, die Dirigenten Hans von Bülow und Felix Mottl, den Pionier der Orthopädietechnik Friedrich Hessing sowie den jungen Rainer Maria Rilke. 

Die Ausstellung begibt sich auf Spurensuche nach diesen drei außergewöhnlichen und modernen Frauen und ihrem Erfolg.

Anita Augspurg

Anita Augspurg (1857–1943) wächst als Juristentochter im niedersächsischen Verden an der Aller auf. Die Eltern bewilligen ihr ein Studienjahr in Berlin, um Lehrerin zu werden. Dort nimmt sie heimlich Schauspielunterricht und wohnt bei einem künstlerisch gut vernetzten Frauenpaar. Als Mitglied der Meininger Hofbühne tritt sie seit 1881 auf Europas Bühnen auf. Danach erhält sie Engagements in Riga, Amsterdam und Altenburg.

Bei einem Gastspiel in Dresden trifft sie 1886 in der Malschule ihrer Schwester Amalie auf Sophia Goudstikker und zieht mit ihr nach München, um dort im Folgejahr das Atelier Elvira zu eröffnen. 1893 beginnt sie ihr Studium der Rechtswissenschaften in Zürich und ist 1897 Deutschlands erste promovierte Juristin. Fortan engagiert sich die überzeugte Pazifistin Anita Augspurg für das Frauenstimmrecht und die internationale Frauen- und Friedensbewegung. Es ist mit ihr Verdienst, dass 1919 Frauen in Deutschland erstmals wählen dürfen.

Anita Augspurg © Privatarchiv Karrasch/Sauter

Sophia Goudstikker

Sophia Goudstikker (1865–1924)kommt in Rotterdam zur Welt und stammt aus der niederländisch-jüdischen Kunsthändlerfamilie Goudstikker. Sie wächst in Hamburg und Dresden auf und wird mit dem Atelier Elvira in München die erste berühmte Fotografin der Gegenwart. Als erste Frau erhält sie 1894 von Prinz Ludwig von Bayern den Titel einer Hofphotographin. Es folgen der Königlich Bayerische Hoftitel sowie die Hoftitel von Prinz Alphons von Bourbon und Prinz Albert von Belgien. Für ihre Leistungen wird ihr die Goldene Ludwigsmedaille für Wissenschaft und Kunst verliehen. Im Akademisch-dramatischen Verein München tritt sie erfolgreich als Schauspielerin auf, auch in Stücken von Henrik Ibsen.

Ihr politisches Engagement beginnt Sophia Goudstikker in der von ihr 1894 mitgegründeten Gesellschaft für geistige Interessen der Frau, dem späteren Verein für Fraueninteressen. 1898 gründet sie die Rechtsschutzstelle für Frauen in München. Sie ist ab 1908 die erste vor Gericht zugelassene Verteidigerin von Frauen und Jugendlichen in Deutschland und setzt sich bis zu ihrem Tod unermüdlich für sie ein.

Sophia Goudstikker © Landesarchiv Berlin, B Rep. 235-FS Nr. 187

Mathilde Nora Goudstikker

Die bisher kaum bekannte Schwester Sophias ist das jüngste Kind der Familie: Mathilde Goudstikker (1874–1934). Sie wächst in Dresden im Umfeld der Malschule von Anitas Schwester, Amalie Augspurg, auf. 1891 zieht sie im Alter von 17 Jahren zusammen mit ihrer Mutter nach Augsburg, wo sie die neu eröffnete Filiale des Atelier Elvira als Geschäftsführerin für mehrere Jahre erfolgreich leitet. Nach deren Verkauf arbeitet auch sie im Münchner Haupthaus, dem Atelier Elvira in der Von-der-Tann-Straße.

Dort lernt sie 1897 bei einem Fototermin Rainer Maria Rilke kennen, der ihr daraufhin erfolglos zahlreiche schwärmerische Briefe schreibt und sogar ein Theaterstück widmet. Mathilde Goudstikker heiratet 1903 den Königlichen Militär-Bauamtmann und späteren Architektur-Professor der Technischen Universität München, Sigismund Göschel. Von seinen Bauten fertigt sie beeindruckende Architekturfotografien an. Einige sind in der Ausstellung zu sehen.

Mathilde Goudstikker © Privatarchiv Göschel, Überlingen

Das Atelier Elvira in Augsburg

Das Augsburger Atelier Elvira wird in direkter Nachbarschaft zum Theater in der heutigen Ludwigstraße 22 im Hinterhaus eröffnet. Die Lage ist klug gewählt, denn schließlich sind Aufnahmen von Künstlerinnen und Künstlern als Sammelobjekte ein einträgliches Geschäft und noch dazu ein werbewirksames Aushängeschild. Das Konzept geht auf und auch in Augsburg werden zahlreiche Prominente, wie beispielsweise Friedrich Hessing, von Mathilde Goudstikker porträtiert. Die junge Fotografin versucht 1892 mittels eines Briefes an ihren berühmten Kunden Hans von Bülow dessen Empfehlung an Otto von Bismarck zu erbitten. Der Brief ist in der Ausstellung zu sehen und mit den Worten Bülows kommentiert: „Ho Ho Augsburg – großartig naiv“.

Die Ludwigsstraße in Augsburg um das Jahr 1900. Das Firmenschild des Atelier Elvira ist am vierten Haus von rechts zu erkennen. © Privatarchiv Richardsen

Fotos aus dem Atelier Elvira in Augsburg

Friedrich Hessing © Hessing Stiftung
Berta Riedinger © Stadtarchiv Augsburg

Das Atelier Elvira in München

Die Fotografinnen erschaffen mit dem 1898 durch August Endell gestalteten Neubau des Hof-Atelier Elvira direkt am Englischen Garten ein Initialwerk des Jugendstils in München und einen deutschlandweiten Skandal, ausgelöst durch die überbordende Ornamentik im Innenraum und an der Fassade.

Für die Ausstellung wurde die Kolorierung der Fassade von Kurator Christoph Sauter möglichst originalgetreu nachvollzogen. Denn die spezifische Farbigkeit bleibt in schwarz-weiß Aufnahmen verborgen. Um eine möglichst realistische Farbgebung des lila-grünen Farbenelemente zu erhalten, wurde mühevoll in den überlieferten Schriftzeugnissen geforscht. Denn bereits 1937 wurde das ikonografische Fassadenornament durch die Nationalsozialisten abgeschlagen, das Gebäude selbst im Zweiten Weltkrieg zerstört und die Geschichte des Atelier Elvira zum Mythos.

Die neu kolorierte Fassade des Ateliers Elvira in München © Privatarchiv Karrasch/Sauter, Kolorierung von Christoph Sauter

Mit freundlicher Unterstützung

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Impressum:
Stadt Augsburg
Kunstsammlungen und Museen Augsburg
Leitender Direktor: Dr. Christof Trepesch
Leitung Kommunikation: Monika Harrer-Jalsovec M.A.
Kuratierende der Ausstellung: Dr. Ingvild Richardsen, Daniel Karrasch, Christoph Sauter
Umsetzung Sonderseite: Susanna Friedla M.A.
Keyvisual: Christoph Sauter Grafikdesign

Bildnachweis: © wie angegeben